Selbstverständnis

Selbstverständnis und Namensgebung der „Gewalt Akademie Villigst"

Warum wir uns bewusst „Gewalt Akademie Villigst“ und nicht „Anti-Gewalt-Akademie“ nennen und wie wir uns eine ehrliche und selbstkritische Auseinandersetzung mit eigener und fremder Gewalttätigkeit wünschen:

  • Gewalt wird häufig abgelehnt, obwohl sie bei näherer Betrachtung viele Bereiche unseres eigenen Lebens tangiert. Sie wird oft anderen zugeschrieben und nur ungern auf eigenes Verhalten und Handeln bezogen.
  • Gewalt wird fast durchgehend abgelehnt, wenn es sich um physische Gewalt und offenen Rassismus handelt. Eigene, strukturelle, verbale oder psychische Gewalt wird aber nur allzu häufig verharmlost oder ausblendet.
  • Gewalt wird oft relativiert und verharmlost, wenn damit Eigenschaften wie gut, rechtmäßig, erfolgreich, legitim, normal, notwendig, lustvoll oder „Spaß haben“ verbunden werden.
  • Gewalt hat manchmal einen „faszinierenden Charakter“, weil sie Eindeutigkeit in unklaren, unübersichtlichen oder bedrohlichen Situationen bewirken kann und so hilft, eigene Angst und Ohnmacht zumindest kurzfristig zu überwinden.
  • Gewalt garantiert mitunter Aufmerksamkeit und Fremdwahrnehmung, die scheinbar mit anderen Mitteln nicht mehr herstellbar war.
  • Gemeinsam ausgeübte Gewalt kann in Gruppen zumindest kurzfristig partielle Solidarität erzeugen bzw. sich als klar erkennbarer Prüfstein für Solidarität erweisen.
  • Gewalthandlungen werden von den Täter*innen in der Situation und in der Erinnerung oft als emotional erregend, stimulierend und rauschartig erlebt.
  • Gewalt wird deshalb von den Täter*innen oft als ein „erfolgreiches Handlungsmodell“ (Heitmeyer) erlebt und begriffen.

Weil die Gewalt aus unserem Leben nicht verschwindet, wenn wir sie nur vehement genug bei uns und anderen ablehnen, macht es Sinn, Gewalt in persönlichen, sozialen, lokalen wie globalen Bezügen immer wieder neu zu thematisieren und kontinuierlich der Reflexion und Auseinandersetzung mit eigener und fremder Gewalt Zeit und Raum zu geben.

In der pädagogischen und politischen Praxis ist damit ein Paradigmenwechsel verbunden, der Gewalt nicht mehr tabuisiert, sich nicht mehr in eher oberflächlichen „Anti-Gewalt- Haltungen“ ausdrückt und nicht mehr dazu verleitet, sich selber oder die eigene Gruppe als „gewaltfrei“ zu bezeichnen. Vielmehr werden nun die Ursachen, Wirkungsweisen und Auswirkungen von Gewalt in den Mittelpunkt gerückt und der verantwortliche Umgang mit der Gewalt bei mir selber, in der Kommunikation mit anderen und in unserer Gesellschaft thematisiert und auf den Prüfstand gestellt. Dass dabei die mögliche eigene Widersprüchlichkeit und die eigene Verstrickung mit der Gewalt nicht mehr geleugnet wird, macht in Bezug auf Glaubwürdigkeit allenthalben mehr Sinn als die Behauptung, dass Gewalt bei einem selbst oder der eigenen Gruppe nicht sein darf und deshalb auch nicht sein kann.

Arbeitsansätze und Methodenrepertoires

Es ist notwendig geworden, Spiel-, Übungs- und Arbeitsansätze, Didaktiken und Methodenrepertoires zu entwickeln, die die alltägliche Gewalt nicht leugnen und die Verständigung mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen herbeiführen. Es gilt, gemeinsam herauszufinden, zu begreifen, zu erfahren und zu verstehen, wie Gewalt funktioniert, was im Umgang mit Gewalt Sinn macht, was Wert hat, was als Regel taugt und deshalb hier und jetzt für alle gelten kann und soll. Der damit angedeutete pädagogisch-politische Perspektivenwechsel fragt also weniger danach, wie und mit welchen Techniken Menschen bestimmte Wahrheiten, Werte oder Regeln vermittelt werden können, sondern danach, wie sich Verständigungsarbeit gestalten kann, damit alle Beteiligten selber herausfinden können, was gut oder eher schlecht (für sie selber
und für andere) ist. Gewaltprävention ist deshalb die gezielte und erfolgreiche Intervention zum Erkennen und zur möglichst weitgehenden Vermeidung und Verhinderung von Gewalt.

Dazu gehören:

  • das Erkennen und Benennen von Konflikt-, Bedrohungs- und Gewaltsituationen
  • die Thematisierung von Gewalt in allen Erscheinungsformen (physisch, psychisch, strukturell)
  • die Qualifizierung möglichst authentischer Persönlichkeiten, um verletzende und zerstörerische Erfahrungen, ihre Ursachen und Wirkungen empathisch vermitteln zu können
  • die Eröffnung von (sozialen) Erlebnis- und Erfahrungsfeldern, in denen junge Menschen selber herausfinden und begreifen können, welche Ursachen, Wirkungen und Spuren Gewalt hat und hinterlässt
  • die Entwicklung eines sozialen Klimas zum Abbau und zur Ächtung von Gewalt als das was sie ist: verletzend, schädigend und zerstörend
  • der Respekt vor dem Gewaltmonopol des Staates
  • die Entwicklung und Förderung konstruktiver Konfliktbearbeitung
  • die Überprüfung und Korrektur eigener Positionen, Rassismen, Widersprüchlichkeiten und Gewaltpotentiale
  • die Entwicklung und Erprobung von Flucht- und Interventionsmöglichkeiten in Bedrohungs- und Gewaltprozessen
  • die Weiterentwicklung von deeskalierenden Verhaltens- und Handlungsrepertoires
  • die Entwicklung und Stabilisierung eines andauernden gesellschaftlichen Diskurses zur Gewalt, ihren Ursachen und Wirkungen und zu alternativen Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten.