Inter-/transkulturelles Lernen

Interkulturelles Lernen

Interkulturelles Lernen  will die Bedingungen aufzeigen und die Voraussetzungen  dafür  schaffen,  dass  Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion gemeinsam leben sowie miteinander und voneinander lernen können. Dieser Prozess ist mehrdimensional angelegt und beinhaltet neben kognitiv-inhaltlichem Lernen auch emotional-affektiv Dimensionen. 

1.  Einer der ersten Schritte interkulturellen Lernens zielt auf die Wahrnehmung anderer Kulturen und die Relativierung des eigenen Standpunktes.

2. In einem zweiten Schritt wird Toleranz* gegenüber anderen Kulturen und Religionen entwickelt.  Es eröffnet sich Akzeptanz für die Sinnhaftigkeit dieser Kulturen (auch Religionen) sowie das Ernstnehmen ihrer Lebenspraxis. Dies erfordert die Bereitschaft aller, die Geschichte, Entwicklung und Notwendigkeiten der jeweiligen anderen Kultur und Religion zu akzeptieren und zu verstehen, auch und gerade dann, wenn deren Formen den eigenen Gewohnheiten, vielleicht sogar den Selbstverständlichkeiten der eigenen Kultur entgegenstehen.

3. In einem  dritten Schritt wird es dazu kommen, dass die jeweils anderen Kulturen als gleichwertig akzeptiert und respektiert werden. Zumindest  in diesen  ersten drei Schritten kann die manchmal als Bedrohung angesehene Erfahrung von  Fremdheit, von Unberechenbarkeit, bestehen bleiben, erreicht wird aber ein reflektierter und nicht mehr von selbstverständlicher Abwertung begleiteter Umgang mit Anderem oder Fremden.

4. Erst in  einem vierten Schritt  kann erwartet werden, das Elemente der anderen Kultur auch für die eigene akzeptiert werden und als erstrebenswert gelten.

Interkulturelles Lernen begrenzt sich nicht allein auf soziale Prozesse mit Angehörigen von (ehemaligen) Zuwanderer- oder Flüchtlingsfamilien; der Pass, die Nationalität, Sprache und Dialekt, Hautfarbe usw. sind jeweils nur einzelne Elemente von Kultur. Kultur* kann dabei beschrieben werden als die Gesamtheit aller geistigen, künstlerisch-schöpferischen, gesellschaftlichen und materiellen Lebensäußerungen eines Einzelnen oder einer Gemeinschaft.

Interkulturelles Lernen entwickelt Interkulturelle Kompetenz. 

Dazu gehören:

1. Kommunikative Kompetenz       

Um Missverständnisse zu vermeiden und interaktive Kommunikationsformen und -stile zu ermöglichen bedarf es der Erweiterung der eigenen passiven und aktiven Kommunikationsfähigkeit. Gemeint ist damit die Fähigkeit, Kontakte zwischen Menschen herzustellen; dazu gehört verbale Ausdrucksfähigkeit (z.B. Mehrsprachlichkeit) ebenso wie Gestik und Körpersprache als Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit.

2. Empathie        

Um Menschen aus anderen Kulturen, Herkunfts- und Erfahrungswelten verstehen zu können ist es notwendig sich in andere Menschen und ihre Lage hineinzuversetzen, „in den Schuhen eines anderen“ gehen und Dinge mit den Augen eines anderen erleben und beurteilen zu können.

3. Offenheit und Flexibilität    

Unvoreingenommenheit kann dem zu schnellen Rückgriff auf  eigene Deutungsmuster und Handlungskonzepte standhalten und Einstellungen entwickeln, die es aus der Geborgenheit eigener Identität heraus zulässt, sich auf andere, unbekannte, fremd wirkende Kulturen einzulassen. Vorurteile und Stereotypen treten dabei in den Hintergrund. Angesichts der Pluralität von Meinungen und Wertvorstellungen wird die Fähigkeit benötigt, sich selbst zu verändern - ohne sich selbst aufzugeben und dadurch in eine andauernde Unverbindlichkeit und Verunsicherung zu geraten.

4. Frustrationstoleranz       

Die Zusammenarbeit mit anderen Menschen kann von Spannungen begleitet sein, die als nicht akzeptabel, mehrdeutig, widersprüchlich oder ungereimt wahrgenommen werden. Diese Spannungen  auszuhalten und nicht sofort auflösen zu wollen setzt Frustrationstoleranz (Ambiguitätstoleranz) und das Wissen oder die Ahnung um auch eigene Widersprüchlichkeiten voraus. 

5. Konfliktfähigkeit       

Konflikte sind ein wichtiges Signal dafür, „dass etwas nicht (mehr) stimmt“.  Konfliktfähigkeit setzt voraus, Konflikte zuzulassen und auszuhalten, das Gewinner-Verlierer-Schema zu verlassen und sich mit sich selbst und den/m anderen Konfliktbeteiligten auseinanderzusetzen. Ob Konflikte gelingen hängt wesentlich davon ab, ob die Eigendynamik des Konflikts durchbrochen wird und der Inhalt des Konflikts  zum tragen kommt. Im Idealfall können alle Konfliktparteien ihre Ziele erreichen (win/win-Lösung) und auf Niederlagen anderer verzichten.

6. Selbstreflexion        

Um andere und anderes verstehen zu können, braucht man die Fähigkeit, sich selbst und sein eigenes Verhalten, eigene Werte und Einstellungen kritisch befragen zu können. Eigene Bedingungs-, Bezugs- und Wertesysteme mögen dabei durchaus stimmig sein, sie lassen aber niemals einen allgemeinen Geltungsanspruch zu. In diesem Prozess geht es nicht darum, eigene kulturell geprägte Identität aufzugeben, sondern neue Denk- Empfindungs- und Verhaltensmöglichkeiten aufzuspüren um das Gefühl eigener Identität und Authentizität zu stabilisieren.

7. Kreativität        

Interkulturelles Lernen und Arbeiten lässt häufig aus Elementen verschiedener Kulturen neue Kulturen entstehen. Gegensätzliche, faszinierende oder gar schockierende neue kulturelle Erfahrungen bieten häufig Motivation, Material und Anlass schöpferisch zu werden. Neue Gestaltungsmöglichkeiten entstehen, die mit neuen Handlungsansätzen eine Brückenfunktion entwickeln können.

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* Integration bezeichnet den Vorgang der Eingliederung von Menschen in ein gesellschaftliches System (z.B. Behinderte in eine Regelschule) oder in eine Gesellschaft (z.B. Menschen anderer Herkunft). Integration heißt gesellschaftliche, gleichberechtigte Teilhabe bei gleichzeitiger Wahrung der je eigenen Identität, Religion und kulturellen Äußerungen aller Beteiligten (gerade der jeweiligen Minderheit). Integration löst dabei das Aufeinanderzugehen aller Beteiligten aus. Wenn diese Leistung nur einseitig auf die Minderheit bezogen erwartet wird, sprechen wir von Assimilation (Angleichung / Unterordnung).

* Toleranz sollte nur eine vorübergehende Gesinnung sein; sie muss zur Anerkennung führen.

* Dulden heißt beleidigen.”  (Johann Wolfgang von Goethe)

* Kultur sind alle geistigen, künstlerisch - schöpferischen, gesellschaftlichen und materiellen Lebensäußerungen eines Einzelnen oder einer Gemeinschaft, die zum Ziel haben, sich mit Menschen zu verständigen, um das friedliche Miteinander von Menschen und die Lust am Leben zu fördern. In diesem Prozess der Verständigung können sich Menschen ebenso wie Kulturen verändern.

Ralf-Erik Posselt

Haus Villigst 2004

Trainings & Trainer_innen